Im Asyl
Asylsuchende: Die Menschen hinter dem Begriff kennt kaum jemand. Mario Fuchs versuchte, dies zu ändern – er wohnte einen Monat lang mit acht Asylsuchenden in der Zivilschutzanlage.

 

Der 13. August war der Tag, an dem Lascha Gott begegnete. In einem Polizeiauto. Es ist laut auf dem Flugfeld in Kloten. Der Wagen hält direkt neben der Maschine, die Lascha in die Slowakei ausfliegen soll. Die Turbinen laufen. Lascha Kecbaia, Georgien, geboren 1980, orthodoxer Katholik, sitzt auf dem Rücksitz, wartet. Ein Polizist steigt aus, steigt die Gangway hinauf. In der Flugzeugtür erscheint der Pilot. Lascha sieht, wie die Männer, beide in Uniform, gegen den Turbinenlärm anreden. Wie der Polizist dem Piloten ein Formular zeigt. Wie der Pilot den Kopf schüttelt, der Polizist die Gangway wieder heruntersteigt, zum Auto kommt, die Tür öffnet, einsteigt. «Ich weiss nicht warum», sagt Lascha. Der Polizist weiss es auch nicht. Lascha sagt: «Das war Gott.» Der Polizist fährt zurück zum Terminal und kauft dem Mann, den er noch vor zehn Minuten hätte ausschaffen müssen, ein Sandwich und ein Fläschchen Coca-Cola.

 

Jetzt sitzt Lascha auf seinem Bett in der Kollektivunterkunft Wilen bei Wil. Der Klapptisch, darauf eine dünne Matratze, steht in der Schleuse, im Eingang zur Zivilschutzanlage. Lascha wollte seinen eigenen Schlafplatz. Im Massenschlag hatte er es nicht lange ausgehalten. «Zu viel Lärm für meinen Kopf», sagt er. Und dann: «Hier ist eine gute Wohnung.» Lascha hat schon anderes gesehen, berichtet von Asylheimen in der Slowakei, in Österreich, Italien, Deutschland. In die Schweiz kam er am 30. Mai 2010. Drei Monate später erhielt er einen Brief vom Bundesamt für Migration: Nichteintreten. Er sei ein Dublin-Fall, einer, für den die Schweiz nicht zuständig sei, weil er bereits in einem anderen europäischen Staat, der Slowakei, um Asyl ersucht habe. Dann half Gott – oder das Dublin-Abkommen. Er zeigt den nächsten Brief aus Bern: «Nachdem die Frist zur Überstellung in die Slowakei abgelaufen ist, geht die Zuständigkeit für die Behandlung des Asylgesuchs gemäss Artikel 19f Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates auf die Schweiz über. Die Verfügung vom 26. Juli 2010 ist demnach aufzuheben und das nationale Asylverfahren in der Schweiz ist wieder aufzunehmen.»

Prabhakaran neben der Hausordnung

Ernst Bucher leitet in der Hinterthurgauer Gemeinde Rickenbach das Sozialamt. Direkt unter seinem Arbeitsplatz, unter dem gemeinsamen Verwaltungsgebäude der Nachbargemeinden Rickenbach und Wilen, befindet sich eine Zivilschutzanlage. Jeden Dienstagmorgen, jeweils kurz vor 9 Uhr, geht Bucher über den gepflasterten Vorplatz und den gepflegten Rasen. Kurz vor dem ersten Einfamilienhaus des angrenzenden Wohnquartiers führt eine Betontreppe unter das Gemeindehaus. Die schwere, rostrot gestrichene Bunkertür steht immer offen. Es riecht nach Curry und Waschpulver. Lascha und seine sieben Mitbewohner, die hier leben, haben sich im Eingang versammelt. Über dem Türrahmen ist ein rotes Schild befestigt, das an den eigentlichen Schutzauftrag einer solchen Unterkunft erinnert: «Reinigung». Darüber klebt, auf weisses A4-Papier gedruckt, das Logo der srilankischen Widerstandsarmee Tamil Tigers. Dahinter erkennbar sind ein Massenschlag, ein Aufenthaltsraum, eine kleine Küche. Auf einem Tisch steht ein Telefon, links im Raum hängt ein Wandregal, darauf liegen ein Multipack Zahnpasta, eine Rolle Abfallsäcke und eine alte Dartscheibe. Die Betonböden sind mit Spannteppich abgedeckt.

 

Dienstag ist Zahltag für Lascha und seine Mitbewohner. Drei Franken Taschengeld gibt es pro Tag, dazu einmal im Monat die Integrationszulage. Das sind fünf Franken für jede Stunde, die einer im Beschäftigungsprogramm gearbeitet hat. Einmal alle sechs Monate kommen 200 Franken für Kleider dazu – und zwar zweckgebunden: Bargeld gegen Quittung. Ernst Bucher geht jeden Dienstagmorgen in jedes Zimmer. Er steigt durch eine Luke in die hintere Schleuse, wo die Duschen sind, wo eine Waschmaschine und ein Tumbler stehen. Er geht durch das Wohnzimmer, vorbei an einer langen Pinwand. Neben der Hausordnung, in Deutsch und in tamilischer Übersetzung, hängen Erinnerungsfotos einer Sommerwanderung und ein Poster des 2009 getöteten Tamilenführers Velupillai Prabhakaran. Ernst Bucher öffnet den Kühlschrank und die Toilettenkabine. Sauber soll es sein, und ist es an diesem Tag auch einigermassen. Ausser in der Besteckschublade in der Küche. Rahmatscha aus Afghanistan, Zimmerchef November, nimmt’s nickend zur Kenntnis. «Es klappt manchmal gut, manchmal weniger», sagt Ernst Bucher. Mithelfen, die Unterkunft sauber zu halten, muss jeder. An ein Holzregal geheftet ist der «Putzenplan». Rahmatscha hat ihn mit holpriger Handschrift auf einen Zettel geschrieben. Pro Wochentag sind zwei Personen eingetragen. «Den Anordnungen des Zimmerchefs ist Folge zu leisten», heisst es in der Hausordnung.

 

Die acht Männer leben im Schutzraum, weil sie nicht überall als Nachbarn erwünscht sind. Wer in Wilen, Rickenbach oder Wuppenau eine leere Wohnung zu vermieten hat und keinen Mieter findet, lässt sie lieber leer stehen, als junge Afghanen oder Georgier darin unterzubringen. Immobilienverwaltungen verweisen auf schlechte Erfahrungen in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Deshalb taten sich die drei Gemeinden im Hinterthurgau vor drei Jahren zusammen und richteten eine Kollektivunterkunft ein. Die acht Männer haben hier unten alles, was ihnen das Leben unter dem Boden so angenehm wie möglich macht: Licht, Wärme, Heisswasser. Fernseher, DVD-Player, WLAN. Was fehlt, ist Tageslicht. Dafür hat das Sozialamt auf der Wiese neben dem Gemeindehaus einen Wohncontainer aufgestellt. Genutzt wird er von den Bewohnern kaum. Die meisten ziehen das drahtlose Internet im Bunker vor. Das Sozialamt sorgt aber dafür, dass die Bewohner unter der Woche mindestens einmal am Tag hinaufkommen. Von Montag bis Freitag kochen sie gemeinsam mit einer Betreuerin das Mittagessen. Dafür müssen sie ins Dorfzentrum. Mittwoch ist zudem Schultag, Donnerstag Arbeitstag. Für die Gemeinde hacken die Männer Brennholz, das anschliessend verkauft wird. Der Rest der Zeit ist frei. So kann es vorkommen, dass in der Nacht um 3 Uhr vier Männer gleichzeitig im Gang herumstehen, weil die Internetverbindung unerwartet abgebrochen ist. Oder dass ein Feuerwehrmann mittags um 11 Uhr die Entfeuchtungsanlage kontrollieren will, und es noch in allen Zimmern dunkel ist.

«Taliban machen viel Scheisse»

In seiner rechten Hand hält Hamid den Zünder. Eine Bombe, die unter seinem Hemd Platz hat, kann 30 Menschen in den Tod reissen, vielleicht 35. In dem Afghanistan, das er kennt, ist das normal. Hamid, geboren 1994 in Afghanistan, aufgewachsen im Iran, schiitischer Muslim, sitzt am Küchentisch und isst. Er ballt seine Hand zur Faust. Sein Daumen zeigt nach oben, als hielte er ein Feuerzeug. Mit dem Mund imitiert er ein Klicken. Er ruft «Grüezi!», Daumen runter, bumm. «Alles weg», sagt Hamid und lacht. Dann legt er die Gabel zurück auf den Tisch. Rahmatscha und Hamid, der zweite, jüngere Hamid, lachen auch. Drei Afghanen lachen über die Nachstellung eines Selbstmordattentats. «Grüezi!», wiederholt Hamid, der jüngere, und kichert. Er fährt mit seinen Händen durch die Luft, formt einen langen Bart unter seinem Kinn und fragt: «Warum hat noch nie ein Taliban eine Bombe im Bart versteckt?» - «Weisst du», antwortet Hamid auf den verstörten Blick des einzigen Schweizers im Raum: «Die Taliban machen viel Scheisse. Aber was willst du machen? Wir sind keine Taliban, wir sind positive Menschen!» Er nimmt die Gabel wieder auf. Der afghanische Eintopf ist köstlich, aber langsam kalt. Überhaupt: Mit der Religion nehmen es nicht alle Afghanen gleich genau. Während Rahmatscha als Sunnit fast täglich betet, liest Schiit Hamid auch mal in einer persischen Bibel und sagt: «Gott ist überall der gleiche, egal mit welchem Namen.» In seiner Heimat könnte er das nie sagen. Trägt dort eine Frau keinen Schleier, berichtet Rahmatscha, kenne der Taliban oft nur eine Lösung: «Shoot machen», schiessen. Trägt eine den falschen Schleier: Shoot machen. Geht ein Kind trotz Verbot in die Schule: Shoot machen. Keine Schulbildung, keine Arbeit, kein Einkommen. Und immer wieder Terror, Tod, Trauer. Das waren die Gründe, warum Hamid, Rahmatscha und Hamid in die Schweiz kamen. Warum sie wochenlang gingen, elf Stunden am Tag, zuerst durch Afghanistan, dann über den Iran in die Türkei. Warum Hamid, der ältere, in Griechenland in einen Lastwagen stieg, nach Italien fuhr, halb versteckt, halb eingeklemmt unter einer Ladung Holz. Er erinnert sich noch gut an den Moment, als er vom Lastwagenfahrer entdeckt, befreit und weggejagt wurde: «Ich hatte keine Ahnung, ob ich in Italien oder in der Schweiz bin». Irgendwie fand Hamid die Grenze – und eine Mitfahrgelegenheit durch den Gotthard. Dann ging er zur Polizei. Gefängnis, Empfangszentrum Kreuzlingen, Kollektivunterkunft Wilen.

 

Das war vor sieben Monaten. Jetzt stehen Hamids durchnässte Fussballschuhe unter dem elektrischen Ofen, ausgestopft mit einem «Landi»-Prospekt. Hamid zieht den linken Mundwinkel nach oben und schüttelt den Kopf: Seine Mannschaft hat schon wieder verloren. 4. Liga, FC Frauenfeld gegen den FC Rickenbach, 3:2. In der Saisonbilanz resultieren bis jetzt fünf Punkte aus zehn Spielen – und der letzte Tabellenplatz. Was Hamid aber mehr schmerzt als die jüngste Niederlage: Es war das letzte Spiel vor der Winterpause, was auch einige Wochen Trainingspause bedeutet. «Weisst du», sagt er, «den ganzen Tag schlafen ist nicht gut. Das Training ist gut. Aber ich muss schnell Arbeit suchen.» Er brauche einen Lebenslauf. Am nächsten Abend sitzt Hamid zur vereinbarten Zeit am Küchentisch. Vor ihm liegt sein Ausländerausweis. Anhand einer lange nicht mehr angerührten Datei namens «Lebenslauf-Mario-Fuchs.doc» entsteht Hamids allererster Lebenslauf. Datei öffnen, sichern unter «Lebenslauf-Mohammadi-Hamid.doc». Aus 8.8.88 wird 1.1.94. Aus Evangelisch wird Muslim, Schiit. Aus Appenzell, AI, Kawmorda, Afghanistan. Die Abschnitte «Diplome» und «Schulen» müssen komplett gelöscht werden. Jetzt erst wird klar: Hamid wir seinen Lebenslauf mehr als einmal drucken müssen, bis er einen Job gefunden hat. Doch daran denkt er nicht. Für ihn zählt nur eins: Möglichst schnell Arbeit finden. Welche, das ist ihm, der im Iran Herrenanzüge schneiderte und Steine schleppte, egal. «Bei der Arbeit lerne ich richtig Deutsch», sagt Hamid. «Ohne Deutsch isch schwierig, weisst du.» Bis dahin besucht er mit seinen Mitbewohnern die zwei obligatorischen Deutschlektionen pro Woche. Die Fortschritte dort gehen ihm aber zu wenig schnell. In der benachbarten Stadt Wil besucht er fast jeden Nachmittag freiwillig zusätzliche Deutschstunden. Auf seinem Nachttisch liegen Schulbücher.

Decke ist nicht gleich Decke

Mittwoch ist Schultag. Heute heisst das Thema männliche Nomen. Hamid weiss, was erfolgreiches Lernen ausmacht: Repetieren. Eine Übung geht so: Bei allem, was man berührt, den Artikel nennen. Nach dem Essen gibt’s Kaffee, «der Kaffee». Was auch hilft, ist, Texte laut zu lesen. Zum Beispiel eine Etikette, Spar Instant Coffee, 120 Tassen, 200 Gramm, geben Sie zwei Kaffeelöffel in eine Tasse, mit heissem Wasser übergiessen. In der Mitte des Zimmers steht ein altes Holzbett, das Hamid erhalten hat, weil ihm die Militärliege Rückenschmerzen bereitete. Die Matratze, das Kissen, die Decke. Jetzt schaut Hamid verwirrt: «Decke?»

Ja, Decke.

«Decke im Bett? Nicht oben an Wand?»

Ja, die heisst auch Decke, Bettdecke.

«Und wie heisst das?», fragt Hamid und zeigt auf das rote Leintuch.

Leintuch. Moment, falsch: Fixleintuch.

«Fissleintuch?»

Fixleintuch.

«Fitsleintuch?»

Fixleintuch.

«Was ist Unterschied von Fitsleintuch und Leintuch?»

Das Fixleintuch hat einen Gummi.

«Gummi?»

Gummi. Wie hinten an deinem Bleistift, zum Radieren, wenn du etwas falsch geschrieben hast.

«Ah, Gummi! Ich weiss. Aber Gummi nicht am Auto?»

Wie meinst du das, am Auto?

«Das Autorad, auch Gummi.»

Ah, ja, du meinst die Pneus!

«Wie sagst du?»

Pnö.

«Pnu?»

Pnö.

«Pniu?»

Nein: Pnö.

«Pno?»

Rahmatscha muss lachen.

«Pnoi?»

Hamid muss lachen.

«Pnö.»

Ja! Aber wir schreiben es nicht mit ö, sondern mit e und u.

«Pneu?»

Nein, nur mit e und u schreiben, aber sagen musst du Pnö.

«Pnu. Aaaah. Scheisse Wort.»

Alle lachen.

Rahmatscha fragt: «Kaffee?»

«No good this letter»

An Schlafen ist nicht zu denken. Montag, 23 Uhr, im Wohnzimmer läuft der Fernseher. Lascha nervt sich: Die Tamilen schauen in voller Lautstärke einen Kollywood-Film. K wie Kodambakkam, Hauptstadt des tamilischen Films. Einer aber schaut nicht mit: Naathushan*, geboren 1987, Sri Lanka, Hindu, ist nicht mehr da. Naathushan war still geworden in den letzten Tagen. Er sprach nie viel – jetzt sprach er gar nicht mehr. Er kochte auch nicht mehr. Er lag auf seinem Bett im Massenschlag, unterste von drei Etagen, schlief oder starrte in sein Netbook. Jetzt hat ihm das Sozialamt erlaubt, vorübergehend bei seiner Schwester zu wohnen. «Er hat eine Depression», glaubt Lascha.

 

Eine Woche vorher hatte Naathushan gesagt: «Come, I show you my documents.» Handgeschriebene Briefe, Arztzeugnisse, Vorladungen. Eine Leidensgeschichte in Amtssprache. Glaubt man dem Brief seines Anwalts oder dem Haftbefehl der srilankischen Regierung, war es ein Kunde, der aus Naathushan einen politischen Verfolgten machte. Er hatte als Immobilienmakler und Vertreter eines Mobilfunkanbieters gearbeitet und sich in der Freizeit für die Opposition engagiert. Der Vorwurf der Polizei: Naathushan habe eine Wohnung an einen Attentäter vermietet. In der Wohnung sei eine Bombe gebaut worden, die später ein Parlamentsmitglied der Regierungspartei tötete. Naathushan wurde, so schreibt sein Anwalt, von der Sri Lankan Security Force gewaltsam entführt und festgehalten, zweimal. Belästigt, gequält, vergewaltigt. Naathushan erzählt, wie er einem dritten Haftbefehl nur knapp entkam, wie er in den Osten des Landes flüchtete, aber bald auch dort polizeilich gesucht wurde. Wie er am 4. September 2009 mit einem gefälschten Pass in einer Emirates-Maschine sass, nach Dubai und von dort nach Rom flog. Wie er in Italien in ein Auto stieg und in Kreuzlingen wieder ausstieg. «No good this letter», sagt Naathushan und zeigt einen Brief des Bundesamts für Migration. «Sehr geehrte Damen und Herren, die Beschwerdeschrift enthält keine neuen erheblichen Tatsachen oder Beweismittel, welche eine Änderung unseres Standpunktes rechtfertigen könnten. (...) Was das eingereichte Arztzeugnis aus Sri Lanka, die Briefe der Mutter und das Schreiben des Anwalts angeht, so müssen diese als Gefälligkeitsschreiben ohne Beweiswert betrachtet werden. (...) Bezüglich der Vorladung der Polizei ist anzumerken, dass solche Vorladungen leicht käuflich erwerbbar sind. Zum Haftbefehl ist festzuhalten, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, dass der Beschwerdeführer dieses Dokument im Original besitzen kann, was bereits erhebliche Zweifel an seiner Echtheit weckt. (...) Wir beantragen Ihnen daher die Abweisung der Beschwerde.»

 

Will Naathushan schlafen, muss er eine Tablette nehmen. Rechts neben seiner Matratze steht eine Nachttischlampe. Sie brennt die ganze Nacht, jede Nacht. Der Grund: Bürgerkrieg, 23. Juli 1983 bis 18. Mai 2009. Liberation Tigers of Tamil Elam gegen Sri Lanka Armed Forces. 80‘000 bis 100‘000 Tote. Vom jungen, erfolgreichen Geschäftsmann Naathushan, der in Colombo Mobiltelefone verkaufte und Wohnungen vermietete, blieb nichts übrig. Müsste er zurück nach Sri Lanka, sagt er, verginge vielleicht ein halbes Jahr, vielleicht ein ganzes. Dann würde ihn die Polizei finden. Dann wäre er tot.

Kein Asyl

Laschas Mobiltelefon klingelt. Er hebt ab. Am anderen Ende: die Heimat. Die Freundin lebt mit ihrem Sohn in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Alle paar Wochen liegt eine neue Prepaidkarte für ein Ferngespräch im Budget. Dann ruft Lascha auch seinen Vater auf dem Land an. Darauf freut er sich weniger: Dem Vater geht’s gesundheitlich nicht gut – und Heilung durch den Hörer funktioniert nicht. Für Rahmatscha ist der Kontakt zum Vater in Afghanistan ein wöchentliches Ritual. Seine zwei Söhne im Primarschulalter leben bei ihm. Eines Tages, so hofft er, könnten sich auch in die Schweiz kommen. Aber nur, wenn sie anständig sind. Denn für etwas haben die Bewohner in der Kollektivunterkunft Wilen gar kein Verständnis: Kriminelle Asylsuchende. Wer gewalttätig wird, etwas mit Drogen zu tun hat, oder «Zapzarap macht», also etwas klaut, habe es nicht verdient, in der Schweiz zu sein. «Leute, die Probleme machen, müssen schnell weg. Das ist nicht gut für die anständigen Leute», sagt Hamid. Lascha sieht das gleich: «In der Schweiz mit Zapazarap oder Drogen keine Chance.»

 

Am 6. Dezember 2012 läuft die gemeinderätliche Bewilligung des temporären Aufenthalts von Herrn Mario Fuchs in der Kollektivunterkunft Wilen aus. Abschied nehmen fällt den einen leicht, den anderen weniger. Lascha fragt Sozialamtsleiter Ernst Bucher, ob die Bewilligung denn nicht verlängert werden könne. Der Herr Fuchs benehme sich doch anständig, hätte das doch verdient. «Aber nein», witzelt Lascha, «Herr Bucher gibt dir kein Asyl, negativ». Körper und Gepäck ziehen aus, die Gedanken aber sind immer wieder im Bunker.

 

*Name geändert

 

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Video: www.asylblog.ch