Pinguine in Gefahr
Janine Wetter dreht als Maturaarbeit in der Antaktis einen Dokumentarfilm über die stille Tragödie im ewigen Eis.

 

 

 

 

Knietief stehe ich im eiskalten Wasser und filme die Pinguine, die gerade von der Futtersuche zurück ans Land watscheln und dabei immer wieder über die rutschigen Steine stolpern. Hinter mir treiben einfamilienhaus-grosse Eisberge in der Bucht vor Copacabana. Aber keine Angst, dies ist keine Szene aus einem Katastrophen-Film und Rio de Janeiro erlebt auch keine neue Eiszeit. Ich bin in der Antarktis, dem südlichsten und kältesten Kontinenten der Erde. Um mich vor dem kalten, antarktischen Wasser zu schützen trage ich einen Spezialanzug. Ohne diesen würde ich keine 2 Minuten überleben. Plötzlich kommt von hinten eine Welle und erwischt meine Kamera. Ich bin gefrustet, dass mir das passiert ist und hoffe, dass die Kamera nicht defekt ist. Für heute sind meine Dreharbeiten leider beendet. Ich muss erst schauen, ob der Wasserschaden noch repariert werden kann. Das Wetter schlägt um und ein Sturm zieht auf. Zusammen mit Kameramann Charles Michel versuchen wir über Funk Kontakt zu der polnischen Antarktis-Station „Arctowski“ aufzubauen: "Arctowski, Arctowski. Swiss Team is calling and needs help (…)"

 

 

Bevor es überhaupt so weit kam und ich für meine Maturitätsarbeit in die Antarktis gereist bin, waren viele Vorbereitungen nötig. Angefangen hat alles eines Abends, als ich im Internet auf diese Information gestossen bin: „Der Klimawandel bedroht die Pinguine in der Antarktis. (…) Schon jetzt erwärmt sich die Antarktis fünfmal schneller als der Weltdurchschnitt.“ Pinguine waren schon als Kind meine Lieblingstiere und ich bewunderte diese watschelnden Vögel, wie sie in dieser eisigen Kälte überleben können. Umso mehr war ich schockiert, als ich diesen Bericht las. Aus Neugierde und Interesse begann ich mehr über dieses Thema zu lesen und beschloss, darüber meine Maturitätsarbeit zu machen. Weil Filmen schon seit meinem 12. Lebensjahr eine grosse Leidenschaft von mir ist, lag es nahe, dass ich einen Dokumentarfilm drehen möchte. Dass ich diesen in der Antarktis drehen werde, davon wagte ich zu diesem Zeitpunkt aber nicht einmal zu träumen.

 

Um erste Filmaufnahmen zu machen besuchte ich die Pinguine im Zürich Zoo, denn ursprünglich hatte ich geplant, meinen Film dort zu drehen. Dabei lernte ich ihren Tierpfleger kennen, der mir überraschenderweise die Kontaktdaten eines Schweizer Pinguinforschers gab. Nach dem ersten Gespräch mit dem Forscher kam bei mir der Wunsch auf, in die Antarktis zu reisen und vor Ort, im Lebensraum der Pinguine, zu dokumentieren was wirklich passiert. Mir wurde klar, dass mein Filmprojekt grösser und auch teurer wird als gedacht. Weil ich diese Kosten nicht alleine tragen konnte, musste ich Sponsoren suchen, die mein Vorhaben unterstützen. Ich bat den Kameramann und Videocoach Charles Michel um Hilfe, den ich von früheren Filmprojekten kannte. Er hat 30 Jahre beim Schweizer Fernsehen gearbeitet und mir mit seinen Kontakten aus dieser Zeit bei der Sponsorensuche sehr weitergeholfen. Zudem gab er mir viele hilfreiche Tipps im Umgang mit der Kamera bei kalten Temperaturen und Wind.

 

Doch die Sponsorensuche verlief trotz guten Kontakten nicht so einfach, wie ich es mir, blauäugig wie ich damals als 16-Jährige war, vorgestellt hatte. Viele Firmen trauten mir ein solches Projekt schlicht nicht zu und als wäre das nicht genug, sagte mir mein Hauptsponsor wenige Wochen vor dem Expeditionsstart die versprochenen Sponsoring-Gelder ab. Doch ich wollte mir davon meinen Traum nicht zerplatzen lassen und suchte nach neuen Sponsoren, die diesen Betrag deckten. Die Absagen spornten mich an, denn ich wollte diesen Firmen zeigen, dass ihr Entscheid der Falsche war und dass ich es auch ohne ihre Hilfe schaffe!

 

Parallel zur Sponsorensuche habe ich eine Möglichkeit gesucht, in die Antarktis zu fahren. Von einem Bekannten, der bereits einmal in der Antarktis war, habe ich erfahren, dass ein chilenisches Forschungsschiff im Sommer 2014 in die Antarktis fährt. Weil die Plätze auf dem Schiff heiss begehrt sind und oft schon 5 Jahre im Voraus vergeben werden, ist es äusserst schwer, wenige Monate vor der Abfahrt noch einen Platz zu erhalten. Charles Michel organisierte für mich ein Treffen mit der chilenischen Botschaft in Bern. Dort stellte ich dem Botschafter und dem Konsul mein Projekt vor und bat um ihre Mithilfe. Zu meiner Freude waren sie begeistert von meinem Vorhaben und engagierten sich sehr für mich. Über das Aussenministerium und die chilenische Marine bekam ich schliesslich einen Platz auf dem Forschungs- und Versorgungsschiff Aquiles.

 

Doch bevor die Expedition starten konnte waren noch weitere Vorbereitungen nötig. So ging ich an drei Wochenenden auf einen Gletscher in Saas-Fee, um mich und meine Ausrüstung für die kalten Temperaturen und die Stürme in der Antarktis vorzubereiten. Charles Michel begleitete mich und lernte mir den Umgang mit der Kamera unter diesen erschwerten Bedingungen. Ich merkte, dass ich bei diesen Temperaturen viel schneller an meine Grenzen stosse und dass Filmen in der Kälte viel schwerer ist, als ich es mir vorgestellt habe. Im Tiefschnee konnte ich mich kaum Bewegen und jeder Schritt musste wohl überlegt sein. Sogar meiner Kamera musste ich „warme Kleidung“ anziehen, damit sie bei diesen Temperaturen nicht unterkühlt, denn Kälte kann unvorhersehbare technische Fehler hervorrufen. Vor der Abreise führte ich zudem erste Gespräche mit Forschern, um möglichst viel über die Antarktis zu erfahren.

 

Wenige Wochen vor dem Expeditionsstart beschlossen Charles Michel und ich, dass er mich in die Antarktis begleiten wird, um meine Arbeit vor Ort zu dokumentieren.

 

Im Januar 2014 war es dann endlich soweit: Ich startete meine Expedition in die Antarktis! Die Vorfreude war riesig! Auf dem Schiff waren etwa 100 Crewmitglieder und über 100 Forscher, überwiegend aus Chile, mit denen ich viele spannende Gespräche führte. Am 3. Tag unserer Reise habe ich Agnes kennengelernt. Sie ist die Leiterin der polnischen Arctowski-Station und hat uns ganz unerwartet auf ihre Station eingeladen. Ungefähr eine halbe Stunde Fussmarsch von der Station entfernt befand sich eine Pinguinkolonie, die wir dank einer Spezialbewilligung besuchen durften. Das Gefühl, inmitten von tausenden Pinguinen zu stehen, ihr Geschnatter zu hören, weit weg von zu Hause zu sein, umgeben vom Meer, Eisbergen und riesigen Gletschern und den kalten Wind zu spüren, dieses Gefühl war unbeschreiblich schön!

 

 

Leider erzählte mir ein Stationsmitarbeiten während unseres Aufenthaltes, dass die Pinguinkolonie in den vergangenen 10 Jahren um 90% zurückgegangen ist. Heute leben hier noch 3‘000 Pinguinpaare, vor 10 Jahren waren es 30‘000 Paare! Als ich das hörte, war ich geschockt. Für mich schien die Kolonie noch heute riesig zu sein und ich konnte mir nur schwer vorstellen, wie es hier vor 10 Jahren ausgesehen hatte. Leider konnte mir kein Forscher die genaue Ursache für diesen drastischen Pinguin-Rückgang nennen. Der Klimawandel wurde aber oft als mögliche Erklärung in Betracht gezogen. Alle Forscher, mit denen ich gesprochen habe, haben mir bestätigt, dass es den Klimawandel gibt und dass er hier auf der antarktischen Halbinsel noch viel schneller vorangeht als auf dem Rest der Welt. Der Direktor des chilenischen Antarktisforschung Institutes (INACH) hat mir von Forschungsergebnissen erzählt, die belegen, dass die durchschnittliche Temperatur der antarktischen Halbinsel in den letzten 60 Jahren um 2.5°C gestiegen ist. Mich haben diese Aussagen jedes Mal aufs Neue schockiert und ich erhoffe mir, mit meinem Dokumentarfilm meinen Teil dazu beizutragen, unsere Welt, die Natur und vor allem die Antarktis und ihre Bewohner zu schützen.

 

 

Aus der Antarktis habe ich über 60 Stunden Videomaterial und 10‘000 Fotos mit nach Hause gebracht und diese in über 8 monatiger Arbeit zu einem 40-minütigen Dokumentarfilm zusammengeschnitten. Derzeit halten Charles Michel und ich gemeinsam Vorträge über unsere Erlebnisse und über die schönen und weniger schönen Seiten der Antarktis. Denn so viel sei gesagt: die Antarktis ist nicht nur durch den Klimawandel bedroht. Die Gier nach Rohstoffen wie Erdöl, Gold, Kupfer, Nickel etc. herrscht auch in der Antarktis vor.

 

Die Faszination für die polaren Gebiete hat mich gepackt. Deshalb werde ich diesen Sommer in die Arktis reisen, um herauszufinden, welche gemeinsamen und unterschiedlichen Veränderungen die beiden Polargebiete durchlaufen. Zudem möchte ich erfahren, wie die Urbevölkerung der Arktis, die Inuit, diese Veränderungen erleben, denn ihre Kultur ist davon betroffen. Ich weiss noch nicht, ob dabei nochmals ein Film entstehen wird, aber das Filmen in dieser Region und mit den Menschen reizt mich sehr, denn es gibt dort viele spannende Geschichten zu erzählen.

 

 

Meine Kamera hat das Wasserunglück dank der Hilfe von Charles überlebt und mir auf der weiteren Antarktis Expedition viele tolle Aufnahmen beschert.

Bilder: Charles Michel