Dem Widerstand auf der Spur
Bis heute bewundern wir den Mut von Sophie Scholl und ihrer Mitstreiter der „Weissen Rose“, die sich vor 70 Jahren mit Flugblättern gegen Hitlers Regime wehrten. Was hätten wir damals an ihrer Stelle getan? Wären wir auch bereit gewesen, unser Leben zu opfern? – Zu ähnlichen Mitteln greift eine Jugendgruppe in Honduras. Sie versucht, den Leuten Mut zu machen und sie davon abzuhalten, sich ihr Land nehmen zu lassen.

 

Gemeinsam haben die Studenten Flugblätter geschrieben und verteilt, um die Leute zu warnen, um sie aufzuklären, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine gegen die Nazis stehen. So heisst es in ihrem fünften Flugblatt: «Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern!»

 

Wie ihre älteren Geschwister war Sophie Scholl anfangs noch begeistert vom Gemeinschaftsideal, das die Nationalsozialisten propagierten. 1934 trat sie den Ulmer Jungmädeln bei und übernahm bald Führungsaufgaben. Doch dann gerieten ihre Geschwister und sie selbst wegen "bündischer Umtriebe" (Singen verbotener Lieder, Lesen verbotener Texte, etc.) mit dem Gesetz in Konflikt. 1937 wurden sie von der Gestapo kurzzeitig verhaftet, ein Jahr später verlor Sophie ihren Rang als Gruppenführerin. Zunehmend entdeckte sie Widersprüche zwischen der parteigesteuerten Fremdbestimmung und dem eigenen liberalen Denken.

 

Als sie 1942 mit dem Biologie- und Philosophiestudium in München begann und dafür mit Hans zusammenzog (die Familie lebte in Ulm), wurde sie sogleich in dessen Freundeskreis aufgenommen. Wie Sophie, die gerne tanzte, Klavier spielte und zeichnete, waren auch die Freunde begeisterte Musiker und Künstler. Und natürlich vereinte sie die Ablehnung Hitlers und seines Regimes.

 

Vor siebzig Jahren, am 18. Februar 1943, legte Sophie gemeinsam mit Hans Flugblätter in der Münchner Uni aus und warf dabei einen Stoss von einer Brüstung in den Lichthof hinab. Dabei erwischte sie der Hausmeister, der die beiden sofort verhaften liess. Nur vier Tage nach ihrer Festnahme fand bereits die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof statt. Die Geschwister Scholl wurden zum Tode verurteilt und am selben Tag durch das Fallbeil hingerichtet.

 

Bis heute bewundern wir Sophies Mut und den ihrer Mitstreiter. Was hätten wir damals an ihrer Stelle getan? Hätten wir unser Leben gelassen für unser Land? Eigentlich müsste man fragen: Was tun wir heute und an unserer Stelle?

 

Natürlich ist Deutschland schon lange nicht mehr nationalsozialistisch und das Leben in der Schweiz ist scheinbar sicher. Aber leider gibt es bis heute Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Es beginnt im Kleinen auf dem Pausenhof, wenn Leute verprügelt werden – wer hat den Mut, zu einen „Opfer“ zu stehen? Und wer kauft seine Kleider nicht gerne billig ein, auch wenn er weiss, dass die Näherinnen so wenig verdienen, dass es an Sklaverei grenzt? Wer hat denn heute kein iPhone, obwohl wir von der Kinderarbeit bei der Herstellung wissen? Die Probleme, die wir hier im kleinen Rahmen kennen, sind in anderen Ländern riesig. Die Anzahl der Menschen, die sich dafür einsetzt, erschreckend klein. Dabei braucht es gar nicht viel, um sich gegen die Ungerechtigkeit zu wehren. Sophie Scholl und ihre Freunde informierten ganz einfach nur. Das geschriebene Wort war aber so mächtig, dass man sie aus Angst vor seiner Wirkung umbringen liess.

 

Zu ähnlichen Mitteln greift eine Jugendgruppe in Honduras. Da ein Grossgrundbesitzer die Bauern von ihrem Land auf der Halbinsel Zacate Grande vertreiben will, um dort ein Hotel aufzubauen, haben sich Jugendliche zusammengeschlossen und ein Lokalradio gegründet: La Voz de Zacate Grande. Sie versuchen darin, den Leuten Mut zu machen und sie davon abzuhalten, sich ihr Land nehmen zu lassen.

 

Es ist ein kleiner Schritt, aber ein gefährlicher, denn Landkonflikte sind ein schwieriges Thema in Honduras und die Jugendlichen setzen sich Drohungen und Angriffen aus. Daher ist es wichtig, dass das Radio internationale Anerkennung bekommt. So ist es dem Grossgrundbesitzer nicht länger möglich, das Radio zu vernichten und Zacate Grande an sich zu reissen – schliesslich will er einen Ort der Erholung und keinen Skandal schaffen.

 

La Voz de Zacate Grandezeigt deutlich, dass ein schlichter Widerstand umso mächtiger wirkt. Man könnte sagen, es ist die „Weisse Rose“ des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Sophie Scholl und ihre Freunde haben Spuren hinterlassen. Es ist an uns, ihnen zu folgen, sie weiterzuführen und neue Wege zu gehen. Nicht umsonst sagte Sophie einst: „Wenn jeder nur eine Meinung hat gegen dieses System, aber nicht handelt, so macht er sich schuldig. Diese ganze Katastrophe ist nur möglich, weil keiner schreit, und die Soldaten draussen, wie die Leute drinnen, brav arbeiten und dadurch ihr Leben einsetzen für diesen Staat.“

Noemi Harnickell, 24, schrieb das Theaterstück „Allen Gewalten zum Trotz: Das Leben der Sophie Scholl“. Das Stück wird vom 27.10.-10.11. im Kirchgemeindehaus Johannes in Bern (Wylerstrasse 5) aufgeführt.